08.10.2017
Benjamin-Immanuel Hoff / Alexander Fischer
Gesellschaft

Heimat? Heimat!

Die Heimatdebatte erlebt eine Renaissance und – klug genutzt – könnte sie diesmal weder deutschtümelnd noch abgrenzend sein. In der klassischen Heimatdebatte stehen sich zwei Positionen gegenüber. Die einen meinen, dass unter die deutsche Vergangenheit ein Schlussstrich gezogen werden müsse. Dann könne der Begriff Heimat endlich „unverkrampft“ verwendet werden. Diese Schlussstrich-Mentalität ist Beleg für diejenigen, die den Heimatbegriff für so kontaminiert halten, dass sich dessen Verwendung ebenso verbietet, wie es an positiver Anknüpfungsfähigkeit mangelt. Dass eine Neonazi-Gruppe aus Thüringen sich „Thüringer Heimatschutz“ nannte, scheint die Evidenz dieser Kritik zu bestätigen. Doch die daraus abgeleitete Haltung: „Links ist da wo keine Heimat ist“ sucht vielfach bereits im eigenen Spektrum vergeblich nach Resonanz.

Der ostdeutsche Teil der Partei DIE LINKE, die vormalige PDS, beruht zu einem wesentlichen Teil auf dem Teil der Ostdeutschen, der sich auch 27 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht in der Bundesrepublik aufgenommen, also heimisch fühlt. Das Gefühl nicht anerkannter Lebensleistungen in der DDR verhindert, dass diese Generation ankommt. Heimat ist für die Betreffenden die Sehnsucht nach einem verloren gegangenen Ort – ohne dass die politischen Zustände vor 1989 zurückgewünscht werden.

Der Aufnahme von Flüchtlingen und der Grenzöffnung 2015 stand dieses Milieu ambivalent gegenüber. Einerseits mit dem Habitus internationalistischer Solidarität, deshalb Entgleisungen wie die „Fremdarbeiter“-Aussagen Lafontaines ablehnend und auch die AfD nicht wählend, andererseits um den begrenzten Wohlstand fürchtend, den man sich in den vergangenen Jahren aufgebaut hat.

Die Linke kann, möglicherweise muss sie auch mit dem Heimat-Begriff fremdeln. Es muss kann Nachteil sein, wenn sie vorsichtig mit ihm ist. Ihn pauschal abzulehnen wäre freilich ein Fehler. Weil es die problematische Entkopplung der progressiven politischen Milieus von ihrer historischen sozialen Basis, dem sogenannten Prekariat, verstetigen würde. Besser wäre es deshalb, das Postulat „Links ist da, wo keine Heimat ist", durch die empathische und strategische Gestaltungsaufgabe abzulösen: „Links ist da, wo Menschen eine sichere Heimat (auch in der Fremde), und damit Zukunft und Möglichkeitsräume haben."

Damit würde angeknüpft an die Erkenntnis, dass Heimat in der subjektiven Alltagswahrnehmung zunächst nicht mehr und nicht weniger ist als eine Chiffre für den Wunsch ist nach einem Leben in verlässlichen räumlichen, familiären, sozialen, ökonomischen und institutionellen Arrangements. Der notwendig nächste Schritt bestünde dann darin, zu buchstabieren, wie die Sicherheit vor den großen Risiken des Lebens gewährleistet wird. Egal ob Armut und soziale Ungleichheit, Krieg bzw. Terror und Gewalt oder Diskriminierung und Ausgrenzung. Der selbstbewusste Weg bestünde darin, nicht nur Heimat progressiv zu verwenden – inklusiv statt ausgrenzend – sondern den Sicherheitsbegriff von links gleich noch dazu.

Aufbauend auf dem zutiefst menschlichen Impuls, in der uns umgebenden Umwelt sowohl sicher beheimatet zu sein, als sie uns als frei gestaltbare Lebenswelt aneignen zu können. Es wird für die politische Linke viel davon abhängen, dass sie den Wunsch nach Beheimatung nicht als ewiggestrig abtut, sondern daraus die Legitimation und die Mehrheiten für eine progressive Veränderung der Lebenswelten ableitet.

Über mich
Foto von Benjamin Hoff

Ich bin Vater, Politiker und Sozialwissenschaftler. Herausgeber von "Neue Wege gehen. Wie in Thüringen gemeinsam progressiv regiert wird" (VSA-Verlag 2023).

Hier veröffentliche ich regelmäßig Beiträge in meinem Blog und andere Publikationen.

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Neue Wege gehen
Wie in Thüringen gemeinsam progressiv regiert wird
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Über die Praxis linken Regierens
Die rot-rot-grüne Thüringen-Koalition
Sozialismus.de Supplement zu Heft 4/ 2023
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NSU, NSA, BND – Geheimdienste und Untersuchungs­ausschüsse zwischen Staatsversagen und Staatswohl
Erschienen im VSA-Verlag.