02.09.2024

Thüringen hat gewählt. Der Wahlnachtbericht

Am Sonntag wurde in Thüringen und in Sachsen gewählt. Im Vergleich mit den vorherigen Landtagswahlen seit der Wiedervereinigung sind in beiden Bundesländern Spitzenwerte bei der Wahlbeteiligung zu verzeichnen. In Thüringen wird mit 73,6 Prozent die zweithöchste Landtagswahlbeteiligung seit der Landtagswahl von 1994 (74,8 Prozent) erreicht.

Die Forschungsgruppe Wahlen konstatiert, dass die Landtagswahl überlagert wurde „von höchster Unzufriedenheit sowohl mit der Bundes- als auch der Landesregierung, einer extremen Polarisierung und personeller sowie inhaltlicher Schwächen aller Parteien  […] Die Unzufriedenheit mit der Landesregierung ist auf Rekordniveau (minus 0,8), auch die Arbeit der Opposition wird kritisch bewertet.  […] Die Unzufriedenheit der Thüringerinnen, von denen 57 Prozent die Zukunftsvorbereitung ihres Landes als schlecht beurteilen, beschränkt sich nicht auf die Politik in ihrem Land. Die Bundesregierung wird mit minus 2,2 so negativ wie noch nie bei einer Landtagswahl bewertet.“

Erstmals in der Nachkriegsgeschichte ist mit der AfD eine als rechtsextremistisch eingestufte Partei bei einer Landtagswahl stärkste Kraft geworden. In Thüringen liegt sie nach den vorläufigen Ergebnissen auf Platz eins. Die vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestufte AfD von Spitzenkandidat Björn Höcke kommt nach dem vorläufigen Ergebnis auf 32,8 Prozent. Die CDU landet bei 23,6 Prozent (21,7). Aus dem Stand schafft das BSW 15,8 Prozent – und verweist DIE LINKE des weiterhin populären Ministerpräsidenten Bodo Ramelow auf den vierten Platz. Die Partei verliert knapp 18 Prozentpunkte. Nur wenige Male stürzten Parteien in vergleichbarer Weise ab. Starke Verluste verbuchen die Parteien der Berliner Ampel-Regierung: Die SPD verzeichnet mit 6,1 Prozent (8,2) ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl seit Gründung der Bundesrepublik. Die GRÜNEN scheiden mit 3,2 Prozent (5,2) aus dem Parlament aus, ebenso die FDP mit 1,1 Prozent (5,0).

Die bisherige rot-rot-grüne Minderheitskoalition unter Regierungschef Ramelow, die seit 2019 auf eine Zusammenarbeit mit der CDU angewiesen war, kann mangels Masse nicht mehr weiterregieren.

Erneut mit den Worten der Forschungsgruppe Wahlen:

„Wie unklar die politische Lage ist, zeigt die Frage, wer die künftige Regierung führen soll: 33 Prozent nennen die CDU, 26 Prozent die AfD, 20 Prozent die Linke und 12 Prozent das BSW (weiß nicht: neun Prozent).

Dass die CDU im Vorfeld der Wahl ein Bündnis mit der Linken ausgeschlossen hat, finden 67 Prozent aller Thüringer nicht richtig und selbst 68 Prozent der CDU-Anhänger. Dass sie ein Bündnis mit der AfD ausgeschlossen hat, erachten umgekehrt 54 Prozent als richtig und auch 88 Prozent der CDU-Anhänger, 43 Prozent der Befragten insgesamt erachten es als falsch.

Erneut lehnen die Thüringer mehrheitlich (58 Prozent) eine Regierungsbeteiligung der AfD ab, 36 Prozent befürworten sie. Eine Beteiligung des BSW fänden nur 28 Prozent schlecht, 36 Prozent gut und 29 Prozent wäre das egal.

Die AfD bleibt bei der neuen Regierungsbildung außen vor, denn die übrigen Parteien schließen eine Koalition aus. Trotzdem sieht Thüringens AfD-Chef Höcke den Regierungsauftrag bei seiner Partei. Er wolle mit den anderen Parteien über Koalitionen ins Gespräch kommen, auch wenn anzunehmen ist, dass keine Partei das Gesprächsangebot annehmen wird. Mit mehr als einem Drittel der Mandate verfügt die AfD über eine sogenannte Sperrminorität im Landtag: Entscheidungen und Wahlen, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern, müssten ihre Zustimmung finden. So werden etwa die Verfassungsrichter:innen vom Parlament mit Zweidrittelmehrheit gewählt.

Die wahrscheinlichste Option für eine Koalition wäre ursprünglich ein nie dagewesenes Bündnis aus CDU, BSW und SPD gewesen, obwohl auch dieses Bündnis wenig Stabilitätsprognose gehabt hätte. Doch dieser Konstellation fehlt ein Sitz für die Mehrheit im Landtag. Ein solches Bündnis wäre damit auch auf DIE LINKE angewiesen, womit es freilich eine Allparteien-Front gegenüber der AfD geben würde.

Thüringens CDU-Chef Mario Voigt sieht in den Prognosen den Auftrag zur Regierungsbildung unter seiner Führung, wie er am Wahlabend sagte.

In nachstehender Datei finden Sie eine ausführliche Betrachtung der Ergebnisse des Wahlsonntags vom 1. September 2024.