13.10.2024
Kultur

Lust auf Lesen

In der kommenden Woche beginnt die Frankfurter Buchmesse und wie im Vorfeld der Leipziger Buchmesse auch, ist sie Anlass für eine Bilanz des Buchmarkts und Leseverhaltens. In der Wochenzeitung DIE ZEIT, Ausgabe vom 10. Oktober 2024, analysierte Astrid Herbold die ambivalente Lage des Buchmarktes. Wichtigste Erkenntnis: Das was wir traditionell unter dem Buchmarkt verstehen hat sich fundamental gewandelt. Bücher und Vertriebskanäle wanderten ins Digitale.

Die ambivalente Situation in Zahlen: Einerseits sind die Umsätze der Verlage mit 9,7 Milliarden Euro im Jahr 2023 um 2,8% gegenüber 2022 gestiegen, insbesondere im Bereich der Belletristik sowie Kinder- und Jugendbücher, die einen Zuwachs von 7,7% bzw. 2,5% verzeichnen. Auch das Young Adult-Segment zieht junge Menschen – die wichtigste Zielgruppe der Zukunft – in die Buchhandlungen, wo sie nicht nur stöbern, sondern auch ihr Taschengeld ausgeben.

Andererseits: die Umsätze stagnieren seit 25 Jahren stabil bei rund 9 Milliarden Euro, während die Zahl der Leser:innen stark gesunken ist – von 36 Millionen im Jahr 2012 auf 25 Millionen im Jahr 2023. Die verbliebenen Leser:innen sind bereit, mehr Geld für Bücher auszugeben, aber das veränderte Leseverhalten – besonders bei Jugendlichen – bleibt ein zentrales Thema.

Womit wir beim zweiten Diskussionsklassiker sind. Ob und wie die nächste Generation liest, wird entweder als Krise oder Renaissance verhandelt. Und wie so oft, ist es weder noch. Beim Thüringer Fachtag Literatur zum Thema „Literarische Bildung – Utopie und Wirklichkeit" plädierte ich in dieser Woche dafür, den Wandel des Leseverhaltens aufgeschlossener zu betrachten und berichtete von meinen eigenen – nicht sehr erfolgreichen – Erfahrungen, BookTok und Sachbuch-Informationen zu verbinden.

Mein Fazit: Lesekompetenz und literarische Bildung sind eng mit Medienkompetenz verknüpft. Es geht nicht nur darum, dass auf den häufig kritisierten Plattformen wie TikTok, insbesondere mit dem BookTok-Trend, die Musik spielt. Kinder und Jugendliche sehnen sich tatsächlich nach einem kontemplativen Leseerlebnis. Gleichzeitig sind sie jedoch den Ablenkungsreizen sozialer Medien stark ausgesetzt.

Aktuelle Studien zeichnen ein zweigeteiltes Bild: Viele Jugendliche schätzen gedruckte Bücher, aber die Verkaufszahlen im Jugendbuchbereich sind um 12,6% gesunken. Während der Einfluss des Elternhauses auf das Leseverhalten abnimmt, gewinnt die Schule zunehmend an Bedeutung als Ort der Leseförderung.

Digitale Plattformen wie TikTok bieten jedoch neue Chancen. Phänomene wie „BookTok" haben den Buchmarkt belebt und beeinflussen nicht nur Bestsellerlisten, sondern auch, wie Jugendliche über Literatur sprechen und sich mit ihr auseinandersetzen. Diese neue Lesekultur zeigt uns, dass wir Literatur erfolgreich in die Lebenswelten der Jugendlichen integrieren können – vorausgesetzt, wir öffnen uns den modernen Kommunikationsformen.

Die „Bock auf Buch“-Studie des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels liefert hierzu interessante Erkenntnisse: 33% der Jugendlichen haben eine positive Einstellung zu Büchern, doch digitale Freizeitangebote lenken viele vom Lesen ab. Dabei sehnen sich Jugendliche nach Entschleunigung und Rückzugsorten – und genau hier könnte das Buch als Quelle der Ruhe und Selbstreflexion eine wichtige Rolle spielen.

Es wird daher zunehmend wichtig, traditionelle und digitale Welten miteinander zu verbinden. Didaktische Ansätze, die Formate wie „BookTok" oder andere Social-Media-Plattformen in den Unterricht integrieren, können Literatur für Jugendliche relevanter und zugänglicher machen. Der digitale Raum bietet nicht nur neue Kommunikationskanäle, sondern auch emotionale Zugänge, die das Leseverhalten positiv beeinflussen können. Wir müssen jedoch akzeptieren, dass die genutzte Kommunikationsform angepasst werden muss – und nicht die bildungsbürgerliche Form, die wir uns oft wünschen.

Leseförderungsprogramme wie „Antolin" oder „Lesestart" gewinnen an Bedeutung und sollten selbstverständlicher Bestandteil unserer Leselernkultur sein. Beide Programme schaffen spielerische und interaktive Zugänge zur Literatur, die junge Menschen motivieren, sich mit Büchern auseinanderzusetzen. „Antolin“ beispielsweise ist ein Online-Programm, das durch Quizfragen zu gelesenen Büchern Anreize schafft, das Lesen spielerisch zu fördern. „Lesestart“ richtet sich bereits an Kinder ab einem Jahr und bietet Lesestart-Sets an, um die frühkindliche Leseförderung zu unterstützen.

Projekte, die Podcasts, Videos oder andere Multimediaformate einbinden, zeigen, dass Literatur mehr ist als nur ein gedrucktes Medium. Crossmediale Ansätze integrieren Literatur in das Alltagsleben und bieten neue Wege, Jugendliche anzusprechen. Ich persönlich möchte diese Möglichkeiten in Zukunft weiter erkunden und ausprobieren.

Über mich
Foto von Benjamin Hoff

Ich bin Vater, Politiker und Sozialwissenschaftler. Herausgeber von "Neue Wege gehen. Wie in Thüringen gemeinsam progressiv regiert wird" (VSA-Verlag 2023).

Hier veröffentliche ich regelmäßig Beiträge in meinem Blog und andere Publikationen.

Buchcover
Neue Wege gehen
Wie in Thüringen gemeinsam progressiv regiert wird
Eine Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Buchcover
Über die Praxis linken Regierens
Die rot-rot-grüne Thüringen-Koalition
Sozialismus.de Supplement zu Heft 4/ 2023
Rückhaltlose Aufklärung?
NSU, NSA, BND – Geheimdienste und Untersuchungs­ausschüsse zwischen Staatsversagen und Staatswohl
Erschienen im VSA-Verlag.