Über den Lehrer Dieter Klein
Eine nichtgehaltene Rede zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. Dieter Klein
I.
Nur einige Tage vor dem 70. Geburtstag von Dieter Klein las ich in der Ausgabe der "vorgänge" zum 40. Jahrestag der Gründung der radikaldemokratischen Bürgerrechtsorganisation "Humanistische Union" einen Aufsatz von Carl Wilhelm Macke über den "akademischen und politischen Lehrer Jürgen Seifert".
Macke glaubt, und ich will diese Annahme bezogen auf Dieter Klein unterstreichen, dass es "jenseits jedes kulturkritischen Lamentos" die beschworenen Lehrer (und leider viel zu selten Lehrerinnen) noch gibt. Es sind diejenigen LehrerInnen, die wir brauchen um zu lernen, wie wir uns in der Unübersichtlichkeit der Geistestraditionen bewegen und wie wir die richtigen Fragen und womöglich vielleicht noch Antworten zu den herrschenden Verhältnissen finden.
Bezugnehmend auf die Emanzipation der antiautoritären StudentInnenrevolte der sechziger Jahre gegen ihre LehrerInnen wie Adorno, Fraenckel und andere Intellektuelle aber auch auf die Schwierigkeiten die Lehrer wie Abendroth, Ridder oder besonders drastisch Brückner mit den konservativen Wissenschaftsapparaten hatten, schreibt Macke von dem Lehrer "Gegen den man fluchen oder für den man demonstrieren kann". Und dieser Satz führt direkt zu Dieter Klein.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat mit einem gelungenen, sehr kurzweiligen und angenehm unpretenziösen Empfang den politischen Wissenschaftler Dieter Klein gewürdigt. Dabei ist, ganz unbeabsichtigt und durch die Beziehungen der Anwesenden zum Geehrten als ihrem Freund und politischen Kollegen leicht erklärbar, der Lehrer Dieter Klein im Hintergrund geblieben. Dass der Lehrer Dieter Klein im Jahre 2001 nicht die Würdigung erfährt, die ihm eigentlich zukommt und die Gegenstand meiner kurzen Ausführungen sein soll, liegt vielleicht zum Teil auch daran, dass wir damaligen Studierenden es 1998 versäumt haben für unseren Lehrer Dieter Klein zu demonstrieren.
Wie so viele andere ostdeutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler musste auch Dieter Klein nach der Wende und der Abwicklung des für meine Studierendengeneration mittlerweile vergessenen "Institut für interdisziplinäre Zukunftsforschung" an der Humboldt Universität mehrfache Evaluationen über sich ergehen lassen, die - den Anforderungen der Auftragsforschung zum Trotz - ihn immer wieder "positiv evaluierten".
Hildegard Maria Nickel, Karin Lohr, Dieter Seegert und Dieter Klein blieben als einzige WissenschaftlerInnen aus der DDR am neuen Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität Berlin bestehen.
Letztere mit befristeten Beschäftigungsverträgen und dem erklärten Willen des damaligen Staatssekretärs für Wissenschaft und Forschung, Prof. Thieß, sie nicht weiter zu verlängern. Doch damit nicht genug, verknüpfte sich für Dieter Klein mit dem von ihm nicht gewollten Ausscheiden aus der Universität auch die, im Wissenschaftsbetrieb wohl ziemlich einmalige, Unmöglichkeit, weiterhin Prüfungen seiner ehemaligen Studierenden abzunehmen oder Abschlussarbeiten zu betreuen.
Die Machtverhältnisse lagen, realistisch betrachtet, nicht so, dass wir damaligen Studierenden das Ruder hätten ernsthaft herumreißen können. Es jedoch, bis auf einige Proteste bei der Instituts- und Fakultätsleitung, nicht weiter versucht zu haben, ist zu akzeptieren dennoch schwierig für diejenigen, die beide, sowohl Dieter Klein als auch Dieter Seegert, in der Lehre der Humboldt-Universität nicht missen wollen.
Vielleicht liegt ein Erklärungsgrund für diese Apathie in der Ambivalenz einer durch den Hochschulstreik im Wintersemester 1997/1998 sehr stark und umfassend politisierten Studierendenschaft (zeitweise waren bis zu 800.000 Studierende im Streik), die aber zugleich durch die Länge des Streiks erschöpft und angesichts der Erfolglosigkeit bei der Durchsetzung ihrer politischen Forderung auch zunehmend resigniert war.
II.
Dass Lehre und Studium in Deutschland grundlegend reformiert gehören ist zum zentralen Bestandteil hochschulpolitischen Denkens geworden. Immer wieder genannt werden dabei interdisziplinäre Ausbildung, Leistung und Motivation bei den Lehrenden und die Evaluation der Lehrenden durch die Studierenden. In der Kritik stehen die "Di-Mi-Do-Professoren", also diejenigen, die am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag ihre standardisierten Lehrveranstaltungen pflichtgemäß absolvieren und sich wo es geht, in Forschungsfreisemester oder Nebentätigkeiten verabschieden.
Dieter Klein hätte keine Befürchtungen haben müssen, bei einer leistungsabhängigen Vergütung von Lehrleistungen als Nettoverlierer dazustehen. Im Gegenteil.
Als "Opfer" der guten Lehre von Dieter Klein kann ich über eine Reihe von Vorlesungen berichten, in denen ich mit vielen anderen Studierenden stehend, auf dem Fußboden oder Tischkanten und Fensterbänken hockend seinen "Einführungen in die Wirtschaftspolitik (Teil 1-5)" gelauscht habe. Dass ich an den von ihm als selbstverständlich erachteten Seminaren zu den Vorlesungen nicht wiederum so unbequem teilgenommen habe, liegt nicht daran, dass sich dafür nur wenige Studierende interessierten, sondern daran, dass dafür nicht selten der gleiche Vorlesungssaal benutzt wurde. Nun, es soll auch nicht verschwiegen werden, dass auch der von einigen KommilitonInnen fast als Affront verstandene Veranstaltungsbeginn von 8:30 Uhr vor allem im Wintersemester die Teilnahmezahl reduziert haben dürfte.
Dieter Klein hat sich um die Frage, wie die Betreuung der Studierenden verbessert werden kann glaube ich nie wirklich ernsthaft Gedanken gemacht. Das überrascht jedoch nur diejenigen, die nie vor seinem Büro in der Ziegelstraße 13c im Kreise vieler KommilitonInnen, immer unruhiger werdend, darauf warteten noch vor Ende der zweistündigen Sprechstunde über Hausarbeiten, Referate oder Klausurergebnisse mit Dieter Klein disputieren zu können. Hatte man es denn endlich geschafft, noch rechtzeitig dran zu kommen, betrat man ein Büro, dass vor Hausarbeiten nur so überquoll. Mit entschuldigendem Blick verwies Dieter Klein in den letzten beiden Jahren seiner Universitätstätigkeit darauf, dass ihm ein Sekretariat nicht mehr zur Verfügung stünde - dass er in jedem Semester ca. 20 bis 30 Hausarbeiten neben den Klausuren betreute, vergaß er zu erwähnen. Dies war Selbstverständlichkeit für einen, dem die Betreuung der Studierenden am Herzen lag und wichtige Ausnahme in Zeiten, in denen der, fast ausschließlich verbeamtete, professorale Berufsstand noch immer versucht die Reform des antiquierten Dienstrechtes an Hochschulen lobbyistisch zu entschärfen.
III.
Die Emeritierungsrede von Dieter Klein im Spätherbst 1996 im Senatssaal der Humboldt Universität behandelte die eingreifende Funktion kritischer Sozialwissenschaft und war ein Plädoyer für den Typus des "intervenierenden Wissenschaftlers". Jenes Wissenschaftlers, für den eine Trennung in "politisch" und "wissenschaftlich" nicht möglich ist und der die Aufgabe des eigenen Berufsstandes darin sieht, im besten Sinne des Wortes aufklärerisch tätig zu sein.
Mit welcher Konsequenz er diesen Anspruch auch an sich selbst stellte und mit welcher Begierde er neue Informationen, Ideen aufnahm und Dogmatismus ablehnte, wurde in seinen Lehrveranstaltungen deutlich. Die östliche Transformation, so verdeutlichte er immer wieder, war der letzte Beweis für den trügerischen Schein unhinterfragbarer Wahrheiten und die Notwendigkeit, der stetigen Infragestellung des Bestehenden.
In dem von Dieter Klein und Michael Brie Anfang der neunziger Jahre herausgegebenen Buch "Der Engel der Geschichte" wird diese Auffassung konsequent umgesetzt: Der Engel der Geschichte wird vom Sturm des Fortschritts in die Zukunft getrieben, das Antlitz den zum Himmel wachsenden Trümmern geschichtlicher Katastrophen zugewendet.
In den Lehrveranstaltungen von Dieter Klein waren deshalb als Erklärungsmuster ökonomischer Entwicklungen insbesondere diejenigen Schulen von Interesse, die an dieser Hochschule jahrelang tabu waren. Theorien und Analysen, die auch er sich nach 1989 ein zweites Mal (aus neuer Sicht) oder zum Teil vollkommen neu erarbeitet hatte. Wir profitierten von seinen Erkenntnissen über Luhmanns Systemtheorie oder die Erklärungsmuster der Regulationsschule und diskutierten mit ihm gemeinsam über neue Entwicklungen und Analysen, wie z.B. Forresters gerade erschienener "Terror der Ökonomie", Globalisierungskritiken oder den Gesamtkomplex des "Sustanaible Development". Wenig Chance hatten diejenigen linken Studierenden, die, weil Dieter Klein aus dem Osten kam, hofften in ihm noch einen der letzten Vertreter klassischer Antiimperialismusanalysen oder des Staatsmonopolitischen Kapitalismus zu finden.
Wie seine Emeritierungsrede so umfasste auch seine letzte, im Sommersemester 1998 durchgeführte Vorlesung das Thema "Wirtschaftliche Reformen unter Globalisierungsbedingungen". In der Hauptphase der Erstellung des Buches "Reformalternativen", vergewisserte er sich über die Richtigkeit und Logik der dort getroffenen Grundannahmen und versuchte die Debatte aus dem engen Zirkel der parteipolitischen Diskussionen herauszuheben und in einem wissenschaftlichen Diskurs zu qualifizieren.
Wie unterschiedlich die Debatten über die "Reformalternativen" in Partei und Hochschule gewesen sind, hat selbst Dieter Klein, einen in politischen Debatten jahrelang erfahrenen Akteur, überrascht. Die Hürde zwischen dem zwanglosen Zwang des besseren Arguments im Rahmen seiner Vorlesung und dem mit mir gemeinsam durchgeführten Seminar zu dieser Vorlesung einerseits und den vielfach vor allem auf der Verdachtsebene der Abweichung bleibenden Vorwürfen innerhalb der PDS war zum Teil erheblich.
Die wissenschaftliche Arbeit führt Dieter Klein nun als Leiter der Zukunftskommission der Rosa-Luxemburg-Stiftung weiter. Die neue Tätigkeit, so bestätigt er immer wieder, gibt ihm die Möglichkeit nach den vergangenen zehn Jahren des hektischen politischen Lebens und seiner privaten oft schwierigen Situation die Möglichkeit in erster Linie wieder einmal richtig, d.h. für ihn vor allem kontinuierlich wissenschaftlich tätig zu werden. Dass er die Studierenden und die Hochschule vermisst, wissen nicht allzu viele, weil Dieter Klein nur selten über sich spricht. Dass ihn diejenigen an der Hochschule vermissen, die das Glück hatten bei ihm studieren zu dürfen, sollte mit diesem Text nachdrücklich festgehalten werden.
Literatur
Brie, Michael/Klein, Dieter (1993), Der Engel der Geschichte, Berlin
Klein, Dieter (2000), Reformalternativen. Sozial ökologisch zivil. Berlin
Macke, Carl Wilhelm (2001): Wie um eine Stadtmauer. Über den akademischen und politischen Lehrer Jürgen Seifert, in: vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, Heft 155, S. 225-230