30.09.2015

Die gesellschaftliche Realität ist komplex

Rede in der Aktuellen Stunde der AfD "Veröffentlichte Meinung vs. öffentliche Meinung - Thüringer Medien zwischen Anspruch und Wirklichkeit"

Sehr geehrte Damen und Herren,

vor wenigen Tagen wurden Journalisten am Rande einer Pegida-Demonstration von Teilnehmern dieser Demonstration geschlagen und misshandelt. Die Täter waren Teilnehmer der Pegida-Demonstration, die seit ihrer ersten Veranstaltung den Kampf gegen die sogenannte Lügenpresse zu ihrem Selbstverständnis gemacht hat.

Wenn wir heute in der Aktuellen Stunde - angemeldet von der rechtskonservativen AfD-Fraktion in diesem Hause unter dem Thema "Veröffentlichte Meinung vs. öffentliche Meinung - Thüringer Medien zwischen Anspruch und Wirklichkeit" debattieren, dann müssen wir uns die tätlichen Angriffe auf Journalisten vor Augen führen. Denn es handelt sich dabei nicht nur um verabscheuungswürdige Angriffe auf Menschen, sondern um einen Angriff auf Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes, der lautet:

"Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt."

Das blenden Sie, meine Damen und Herren, die sich gern mit dem Opfermythos schmücken, von Medienmainstream und Political Correctness verfolgt zu sein, in der Regel aus.

Sehr geehrte Damen und Herren,

um es deutlich zu sagen: Kritik an Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen ist nicht illegitim. Jedes gesellschaftliche Teilsystem, sei es Wirtschaft, Politik, Kultur oder eben Medien muss sich in einem gesellschaftlichen Diskurs auch Kritik stellen und sich auch legitimieren.

Dass dies geschieht zeigt die fast unüberschaubar gewordene Zahl an Publikationen, die sich mit der Rolle von Medien, ihrer Tätigkeit auseinandersetzen. Kritik wird an den Medien geäußert und auch Medien gehen selbstkritisch mit sich ins Gericht.

Aus allen politischen Lagern wird zum Teil heftige Kritik an Medien geäußert: Franz-Josef Strauß beschimpfte Journalisten als "jaulende Hofhunde", Helmut Schmidt als "Wegelagerer", Helmut Kohl bezeichnete sie als "Gesinnungsjournalisten", Graf Lamsdorff nannte sie "journalistische Todesschwadronen", Oskar Lafontaine kritisierte den "Schweinejournalismus" und Joschka Fischer sprach - ich bitte den Präsidenten um Verzeihung für das Zitat - als "Fünf-Mark-Nutten".

Das Misstrauen gegenüber Medien in Deutschland ist groß – und es wächst. Das ist das Ergebnis einer Studie zum Medienvertrauen, die infratest dimap im Auftrag der ZEIT durchgeführt hat. Die Mehrheit der Befragten, insgesamt 60 Prozent, hat wenig oder gar kein Vertrauen in die Medien. Nur vier von zehn Deutschen haben Vertrauen in die politische Berichterstattung der Medien.

Die klassischen Medien haben ihren Status als bevorzugte Informationsquelle aber trotzdem nicht verloren. Laut der Umfrage beziehen die Deutschen ihre politischen Informationen nach wie vor hauptsächlich aus dem Fernsehen, und zwar mit weitem Abstand vor allem von ARD und ZDF. An zweiter Stelle stehen Printprodukte wie Zeitungen und Zeitschriften, gefolgt vom Radio und schließlich dem Internet. Die jüngst veröffentlichte ARD/ZDF-Langzeitstudie zeigt dies ebenfalls: 85% der Befragten halten das öffentlich-rechtliche Medienangebot für unverzichtbar.

Kurzum: Drei Berufsgruppen, die für das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland eine konstitutive Funktion haben, stehen im gesellschaftlichen Ansehen auf den hintersten Plätzen. Unternehmern trauen nur 4% der Bevölkerung, den Politikern nur 3% und gerade einmal 10% den Medienvertretern. Die Achtung vor diesem Beruf ist im Laufe der Jahre immer mehr zurückgegangen, wie das Allensbach-Institut nachgewiesen hat.

Neben die Politikerverdrossenheit ist die Medienverdrossenheit getreten. Was sind die Ursachen dafür? Mit sozialwissenschaftlichen Methoden betriebene Ursachenforschung, kommt nach Wolfgang Donsbach im Focus drei Gründe zum Vorschein, die den Negativtrend in der Wahrnehmung des Journalismus erklären können. Ich zitiere:

1. Die Glaubwürdigkeit der Medien ist vor allem bei denjenigen gering, die die Medien für mächtiger als die Politik halten;

2. bei denjenigen, die die Berichterstattung als zu anfällig für wirtschaftliche Interessen sehen; und

3. bei denjenigen, die sie als zu sensationsgierig wahrnehmen.

Donsbach verweist zudem zutreffend darauf, dass die Medien in den vergangenen drei Jahrzehnten einer atemberaubenden Veränderung unterworfen waren, die mit den Stichworten: Medienkonzentration und „Boulevardisierung“ umschrieben werden können. Öffentlich-rechtliche Fernsehsender stehen in der Konkurrenz zu kommerziellen Sendern. Es wird kritisiert, dass sie sich kaum noch von kommerziellen Angeboten unterscheiden.

Analytisch reicht dies aber nicht aus – es kommen nach Donsbach zwei Aspekte hinzu: „Die genannten Gründe drücken nur die Befindlichkeiten eines von den Medien enttäuschten Bildungsbürgertums aus. Im unteren Bereich der sozialen Skala stehen zwei ganz andere Ursachen für die Medienverdrossenheit. 1. Die Diskrepanz zwischen der Weltsicht weiter Teile der Gesellschaft und der so aufgeklärten Welt, wie sie ihnen in den Medien dargeboten wird. Und 2. die Kapitulation vor der Komplexität vieler politischer Themen. Ein großer Teil der Menschen versteht die Welt nicht mehr - und schon gar nicht die Welt, wie sie ihm in den Medien dargeboten wird.“

Sehr geehrte Damen und Herren,

Bernhard Pörksen argumentierte vor einiger Zeit gegenüber Deutschlandradio-Kultur: „Das Netzzeitalter ist das Zeitalter der gefühlten Repräsentationskrise. Man kann nun eigene Bestätigungsmilieus gründen, sich in eine spezielle Wirklichkeit hineingoogeln, und dann die Frage stellen: Woran liegt das eigentlich, dass das, was ich denke und das, was scheinbar die vielen anderen denken, dass das gar nicht in der Heimatzeitung meines Vertrauens oder in der großen Qualitätszeitung aus München oder aus Frankfurt vorkommt. Die spezielle Form der Netzöffentlichkeit, die den Einzelnen zum Regisseur seiner Welterfahrung macht, erlaubt auch eine Entfesselung des Bestätigungsdenkens. Das kann man so vielleicht sagen. Man kann sich aus der Isolationsfurcht, die auch das Abseitige beinhalten mag, befreien, und dann zu der Einsicht gelangen, wir sind doch eigentlich viele und warum wird das nicht in den großen Medien abgebildet."

Dies meine Damen und Herren ist eine legitime Frage, auf die es nur zwei Antworten gibt: eine demokratische, die mit dem Dilemma der Akzeptanz von Komplexität behaftet ist und eine Antwort, auf der das politische Geschäftsmodell von Pegida, AfD und NPD beruht.

Die demokratische Antwort, die sich tatsächlich für die Weiterentwicklung der Medien interessiert, hält fest:

Das mancherorts auch von Journalisten genauso wie von Unternehmern und Politikern verbreitete Image: sie seien die Guten, die Bescheidwisser und die Bessermacher und Kritik an ihnen sei doof bis unverschämt – gibt es, aber es ist bei weitem nicht die Mehrheit.

Stattdessen haben Medien spätestens durch den Einzug des Internets eine Haltung entwickelt, die da lautet: Sachdienliche Äußerungen, von der Korrektur bis zur Kritik, helfen dem Journalismus, seine Aufgabe besser, also wahrheits- und wirklichkeitsgetreu zu erledigen.

Gleichzeitig weisen Journalisten auf den Widerspruch zwischen Konsumtionsverhalten und Medienkritik hin. Ich zitiere Joachim Huber, der im Tagesspiegel formulierte: „Die Welt soll abgebildet werden, auf 28 Seiten, in 15 Minuten Fernsehnachrichten. Auswahl, Analyse, ein Angebot. Es bleibt eine grobe Infamie, Journalisten würden die Welt sich so zurechtschreiben, bis sie in ihr Weltbild passt. Wir lügen nicht, wir irren. (…) Das Wahrheitsgebot ist und bleibt das Reinheitsgebot des Journalismus. (…) Gefährlicher fürs eigene Ego denn für den Journalismus ist: Wenn vermittelte Information nur mit der Messlatte eigener Zustimmung akzeptiert wird. Nicht glauben zu wollen, heißt keinesfalls, es glaubwürdiger zu wissen. Journalismus ist Zumutung. Da draußen, vor der eigenen Tür und außerhalb des eigenen Kopfes, passiert unendlich viel. Journalismus trägt dieses Viele hinein.“ Zitatende

Sehr geehrte Damen und Herren,

gehen wir in diesem Sinne vor, vermeiden wir eine Stoßrichtung die gern von der AfD vermittelt wird und die einer Rede gleicht, die am 10. November 1940 vor den Arbeitern der Berliner Borsig-Lokomotivwerke gehalten wurde, und in denen ausgeführt war – ich zitiere:

„Sie reden von der Freiheit der Presse. In Wirklichkeit hat jede dieser Zeitungen einen Herrn. Und dieser Herr dirigiert nun das innere Bild dieser Zeitung, nicht der Redakteur. Diese Presse nun die die absolut unterwürfige, charakterlose Canaille ihrer Besitzer ist, diese Presse modelliert nun die öffentliche Meinung. Und die von dieser Presse mobilisierte öffentliche Meinung wird wieder eingeteilt in Parteien. Diese Parteien unterscheiden sich so wenig voneinander, als sie sich früher bei uns voneinander unterschieden haben. Sie kennen sie ja, die alten Parteien. Das war immer eines und dasselbe. (...) Diese Parteien mit dieserPresse, die formen die öffentliche Meinung.“

Der Redner damals war Adolf Hitler, heute wird so auf AfD-Kundgebungen gesprochen.