Verfolgte Musiker/-innen im nationalsozialistischen Thüringen
Erschienen in: Hoff,Benjamin/Gerling-Zedler, Constanze; in: Neue Musikzeitung (nmz),
Verfolgte Musiker/-innen im nationalsozialistischen Thüringen
Eine Ausstellung im Stadtmuseum Weimar präsentiert im Jubiläumsjahr 2019 erste Erkenntnisse eines Forschungsprojekts des Vereins weim I art e.V.
Benjamin-Immanuel Hoff / Constanze Gerling-Zedler
Die Weimarer Republik nicht von ihrem Ende her zu denken, sondern als demokratisches Ereignis ohne die unsere heutige Bundesrepublik nicht denkbar wäre, ist die wohl wichtigste Erkenntnis des 100. Jubiläums, dem in Weimar am 5. Februar 2019 mit einem großen Festakt gedacht wurde.
Dennoch kommen wir nicht umhin, wenn wir in politischen Jahrestagen denken, die Erinnerung an die zeitgleiche Gründung des Bauhauses 1919 mit der Erinnerung an dessen Vertreibung durch die Regierung des Thüringer Ordnungsbundes, unterstützt durch die Vereinigte Völkische Liste unter NSDAP-Gauleiter Dintner, ab 1924 zu verbinden. Das Bauhaus siedelte 1925 von Weimar nach Dessau; in Thüringen setzte die NSDAP alles daran, das Land zum Vorreiter nationalsozialistischer Politik umzugestalten. Am 3.-4. Juli 1926 führte die Partei ihren ersten Reichsparteitag nach der Wiedergründung nicht nur in Weimar, sondern im Deutschen Nationaltheater (DNT) durch, um den verhassten Geburtsort der deutschen Republik symbolisch in Beschlag zu nehmen – ihn zu besetzen. Nur zehn Jahre nach Gründung der Weimarer Republik erlangte in Folge der Landtagswahl 1929 in Weimar mit Wilhelm Frick ein Nationalsozialist ein Ministeramt, verantwortlich für Volksbildung und Inneres. Dass Frick und NSDAP-Staatsrat Marschler 1931 durch konstruktives Misstrauensvotum abgesetzt wurden, lag jedoch an Konflikten in der Rechtskoalition, nicht daran, dass Frick einen Kultur-Erlass „Wider die Negerkultur für deutsches Volkstum“, nationalsozialistische Schulgebete auf den Weg gebracht und den Nationalsozialisten Paul Schultze-Naumburg zum Direktor der Weimarer Kunsthochschule, dem früheren Staatlichen Bauhaus Weimar, ernannt hatte. Schultze-Naumburg, dessen 1928 erschienenes Buch „Kunst und Rasse“ erstmals den Begriff der „entarteten Kunst“ popularisierte, übernahm 1931 den Vorsitz im Kampfbund deutscher Architekten und Ingenieure, eine der für die Bücherverbrennungen 1933 verantwortlichen Organisationen. Auf seine Anweisung wurde zum Teil unter dem Einsatz von Zerstörung der Werke, das Bauhaus-Werkstattgebäude und das Weimarer Schlossmuseum von Werken u.a. Barlachs, Schlemmers, Dix‘ und Kokoschka gesäubert. Unter den Bann fielen auch Werke Emil Noldes. Als Anhänger der NS-Rasseideologie und erklärter Antisemit verletzte diese Verfemung durch die Nationalsozialisten Nolde sehr.
Weitere zehn Jahre später, im Frühjahr 1939, gastierte die Wanderausstellung „Entartete Kunst“ im Weimarer Schlossmuseum. Sie enthielt rund 700 beschlagnahmte Kunstwerke, darunter von früheren Bauhäuslern wie Feininger, Klee und Kandinsky. Ergänzt wurde sie zusätzlich in Weimar durch die von Hans Severus Ziegler verantwortete Ausstellung „Entartete Musik“. Ziegler, der in der Amtszeit Fricks als Referent im Thüringer Volksbildungsministerium arbeitete, wurde 1936 Generalintendant des DNT sowie Staatskommissar für die Thüringer Landestheater und zielte mit der Ausstellung gegen jüdisch-stämmige Musiker/-innen und Komponisten, deren Ausschluss aus dem Musikleben gefordert wurde, sowie gegen moderne Musikrichtungen.
Die kulturelle Bedeutung Thüringens und der Klassikerstadt Weimar begründete den Eifer, mit dem die Nationalsozialisten sowohl vor 1933 als auch im Besonderen nach der Machtübernahme bemüht waren, Thüringen als „Mustergau“ zu etablieren. So sollte jede Erinnerung an die ihnen verhasste Weimarer Republik und die Kunst der Moderne übertüncht werden. Mit dem „Gauforum Weimar“ entstand eines der wenigen weitgehend fertiggestellten Ensembles nationalsozialistischer Herrschaftsarchitektur (Raßloff 2015), das rücksichtslos in die städtebauliche Struktur der früheren Residenzstadt eingriff. Dem ambitionierten Projekt „Topographie der Moderne“ Rechnung tragend, wird im ehemaligen Gauforum, in dem heute das Thüringer Landesverwaltungsamt seinen Sitz hat, neben der Ausstellung über die Geschichte des Gebäudes ab kommenden Jahr auch die Ausstellung „Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeit und der Krieg“ ihren dauerhaften Sitz nehmen.
Vom 1. Februar 2019 bis zum 31. März 2019 wird im Bertuchhaus des Stadtmuseums Weimar die Ausstellung „Verfolgte Musiker im nationalsozialistischen Thüringen. Eine Spurensuche“ gezeigt. Diese Exposition versteht sich als Ehrung von vielfach aufgrund des NS-Regimes vergessenen, vor allem jüdischen, Kulturschaffenden. Sie soll dazu dienen, diesen Musikerinnen und Musikern Namen und Aufmerksamkeit zurückzugeben, sie dabei jedoch nicht vorrangig als Holocaust-Opfer wahrzunehmen, sondern als Kunstschaffende und Teil unserer Kulturgeschichte.
Vor 1933 gab es ein sehr breites musikalisches Spektrum in Deutschland, zu dem insbesondere auch Künstlerinnen und Künstler jüdischer Herkunft beitrugen. Gerade ihre Leistungen wurden in der Wanderausstellung „Entartete Musik“ verfemt – zusammen mit avantgardistischen Komponisten, die die moderne Musik entscheidend prägten.
Die Kultur- und Kunstpolitik der Nationalsozialisten diente ideologischer Stabilisierung entlang der Orientierungspunkte Heimat, Rasse, Volkstum und Tradition. Kultur hatte sich in den Dienst des Regimes und ihrer ideologischen Ziele zu stellen. Dabei setzten die Nationalsozialisten insbesondere auf populäre Genres und technische Innovationen, praktizierten im Übrigen jedoch eine Haltung, wie sie nicht deutlicher zum Ausdruck kommen könnte als mit den Worten des völkisch denkenden und antisemitischen Autors und späteren Präsidenten der Reichsschrifttumskammer Hanns Johst: „Hier wird scharf geschossen! Wenn ich Kultur höre ... entsichere ich meinen Browning!“ heißt es in dem Stück „Schlageter“, das auf Wunsch Hitlers die Widmung „Für Adolf Hitler/in liebender Verehrung und unwandelbarer Treue“ trug.
Die Anwendung der Brownings, bekamen diejenigen zu spüren, die im NS-Rasse- und Kulturverständnis weder als Produzent/-innen noch als Rezipient/-innen einen Platz haben durften. Ihre Ausgrenzung begann mit dem Reichskulturkammergesetz von 1933.
Das Gesetz unterstellte das Kulturleben vollkommen der Kontrolle des Regimes und jede kulturelle Äußerung unter Zensur. Davon waren alle Sparten und besonders stark Theater, Film und Architektur betroffen. Nur Mitglieder der Reichskulturkammer durften künstlerisch tätig werden. Das bedeutete ein faktisches Berufsverbot für alle jüdischen Künstlerinnen und Künstler, aber auch für politisch unliebsame Kulturschaffende. Werke von jüdischen Kulturschaffenden aus der Zeit vor 1933 wurden verfemt, verbrannt, verboten. Als Kulturrezipienten wurde jüdischen Bürgerinnen und Bürgern ab 1935 der Zugang zu Bibliotheken, Museen, Theatern und Kinos untersagt.
Im Gegensatz zu Film, Literatur und Kunst jener Zeit gilt die Verfolgung von Musikerinnen und Musikern bislang als weniger intensiv wissenschaftlich be- und aufgearbeitet.
Zwar ist bekannt, dass viele Interpreten und Komponisten aus Deutschland vertrieben oder in Konzentrationslager verschleppt und dort ermordet wurden. Kurt Weill, Arnold Schönberg und Hanns Eisler, Fritz Busch und Bruno Walter gehören zu den bekanntesten Komponisten oder Dirigenten, die auf Grund ihrer jüdischen Abstammung Deutschland verlassen mussten und ihr Werk im Ausland fortsetzen konnten. Viele Musikerinnen und Musiker, die jedoch nicht ins Exil gingen, gerieten in Vergessenheit, weil ihre Arbeiten nach 1933 nicht mehr rezipiert werden durften. Erst gegen Ende der 1980er Jahre rückte diese Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern wieder stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit, insbesondere dank der Arbeit des Vereins „musica reanimata“.
Die Ausstellung „Verfolgte Musiker im nationalsozialistischen Thüringen“ ist Teil eines Forschungsvorhabens, das im Auftrag der Thüringer Staatskanzlei der Verein weim I art e.V. als Träger des Projekts mit der Geschäftsführerin Frau Julia Heinrich sowie der Mitarbeiterin Frau Dr. Maria Stolarzewicz in Kooperation mit der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar unter wissenschaftlicher Leitung von Frau Professor Geyer durchführt. Das Forschungsvorhaben soll dazu beitragen, die reiche regionale Musikgeschichtsschreibung auf mögliche Lücken und Leerstellen zu überprüfen. Den einst verfemten und verfolgten Künstler/-innen soll der ihnen gebührende Platz in der Kulturgeschichte zurückgegeben und ihre Werke sollen wieder in das öffentliche Musikleben integriert werden. Die temporäre Ausstellung im Weimarer Stadtmuseum dokumentiert die „musikarchäologische” Arbeit, die insbesondere Frau Dr. Stolarzewicz im Laufe des letzten Jahres geleistet hat und der sich hoffentlich weitere Erkenntnisse und eine noch größere Öffentlichkeit anschließen werden.